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Die Gegenwartsgesellschaft ist mit einer Vielzahl von Katastrophenszenarien konfrontiert. Während die Reaktoren in Fukushima und Tschernobyl immer noch strahlen, bedrohen Tsunamis dicht bevölkerte Küstenstreifen. Asteroiden ziehen nahe an der Erde vorbei und eine potentiell katastrophale Klimaerwärmung bedroht die gesamte Menschheit. Katastrophen können mit wenig Übertreibung als totale soziale Tatbestände im Sinne von Marcel Mauss beschrieben werden: Wenn Veränderungen der materiellen Umwelt der Gesellschaft erst einmal als Katastrophen beobachtet werden, beschäftigen sie beinahe alle sozialen Systeme, die sich in ihrem Schadensbereich wiederfinden. Katastrophen konfrontieren Interaktionen mit Sonderproblemen gleichermassen wie organisationale Routinen und Entscheidungen durch katastrophale Ereignissen gebrochen werden. Zudem richten sich die Sonderperspektiven der Wissenschaft, der Politik, der Massenmedien auf Katastrophen und arbeiten diese durch eigene Relevanzstrukturen ab. Kurzum: In der Katastrophe verdichten sich gesellschaftliche Horizonte des Erlebens und Handelns. Katastrophen geniessen jedoch nicht bloss zum Zeitpunkt ihres Auftretens gesellschaftliche Aufmerksamkeit. Vielmehr werden sie auch zum Gegenstand von Planung, Vorbereitung und Risikoabschätzung. Ebenso werden Katastrophen im Nachhinein abgearbeitet: Versicherungen müssen Schäden einschätzen, Gerichte schreiben Verantwortung zu, Massenmedien entwickeln Katastrophennarrative und Wissenschaft sucht nach zuverlässigeren Prognosetechniken. In diesem Seminar sollen soziologische Theorieangebote zu Katastrophenkommunikation geprüft werden und auf einzelne Fallbeispiele bezogen werden: Erdbeben, Epidemien, Tsunamis, Reaktorunfälle oder die Möglichkeit einer Klimakatstrophe sollen zum Beispiel anhand verschiedener soziologischer Perspektiven zu Katastrophenkommunikation diskutiert und untersucht werden. |
Literatur |
· Beck, Ulrich (1986), Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, Frankfurt am Main: Suhrkamp. · Bergmann, Jörg (2013), Die Trivialität der Katastrophe – Situationen als Grenzobjekte, in: Reinhard Hörster et al (Hg.), Grenzobjekte, Wiesbaden: VS. · Caduff, Carlo (2014), Pandemic Prophecy, or How to Have Faith in Reason, in: Current Anthropology 55(3): 296-315. · Clausen, Lars et al. (2006), Entsetzliche soziale Prozesse. Theorie und Empirie der Katastrophen, Münster: Lit. · Keller, Reiner (2003), Distanziertes Mitleiden. Katastrophische Ereignisse, Massenmedien und kulturelle Transformationen, in: Berliner Journal für Soziologie 3: 395-414. · Perrow, Charles (1984), Normale Katastrophen. Die unvermeidbaren Risiken der Grosstechnik, Frankfurt am Main/New York: Campus. · Requeplo, Philippe (1986), Der saure Regen: ein „Unfall in Zeitlupe“: Ein Beitrag zu einer Soziologie des Risikos, in: Soziale Welt 37(4): 402-426. · Vollmer, Hendrik (2013), The Sociology of Disruption, Disaster and Social Change. Punctuated Cooperation, Cambridge: Cambridge University Press. · Weick, Karl E. (1990), The Vulnerable System: An Analysis of the Tenerife Air Disaster, in: Journal of Management 16(3): 571-593. |