Sie sind nicht angemeldet

'Könnt ihr mal die Stummschaltung aufheben?‘ – ethnografische Forschungswerkstatt zu physisch kopräsenten vs. digital vermittelten Interaktionen


Dozent/in Sophia Cramer, MA
Veranstaltungsart Hauptseminar
Code FS211375
Semester Frühjahrssemester 2021
Durchführender Fachbereich Soziologie
Studienstufe Bachelor
Termin/e Di, 23.02.2021, 10:15 - 12:00 Uhr, ZOOM
Fr, 05.03.2021, 10:15 - 17:00 Uhr, ZOOM
Sa, 06.03.2021, 09:15 - 16:00 Uhr, ZOOM
Do, 15.04.2021, 09:15 - 14:00 Uhr, 3.B48
Do, 22.04.2021, 09:15 - 14:00 Uhr, 3.B48
Fr, 04.06.2021, 10:15 - 17:00 Uhr, 3.B48
Weitere Daten Vorbesprechung: Dienstag, 23.2., 10 – 12 h (ZOOM); obligatorische Teilnahme.
Umfang 2 Semesterwochenstunden
Inhalt

Im Seminar wollen wir uns gemeinsam auf eine ethnografische Forschungsreise begeben und diese entlang ihrer (zirkulären) Stationen Themenklärung, Feldzugang, Datenerhebung im Feld und Auswertung methodologisch, methodisch sowie praktisch an kleinen Forschungsprojekten der Teilnehmenden reflektieren. Ethnografisch forschen, das heißt: sich den sozialen Praktiken eines sozialen Feldes – beispielsweise einer Chatgruppe, einer Arbeitsbesprechung oder dem Online-Dating – mit ‚Haut und Haaren‘ auszusetzen, sich von ihnen eine Zeitlang treiben zu lassen und sich voller soziologischer Neugierde zu fragen: „what the hell is going on here?“ (Clifford Geertz) Die Leistung einer ethnografischen Herangehensweise ist  ihr Potential, durch die teilnehmende Beobachtung des interessierenden Geschehens auch die verborgenen, vielleicht nicht gleich sichtbaren, impliziten, gegebenenfalls auch illegitimen Dimensionen eines sozialen Feldes – also die „Schweigsamkeit des Sozialen“ (Hirschauer 2001) zum Sprechen bringen zu können.
Die inhaltliche Klammer der kleinen Forschungsprojekte bildet ein gemeinsames, aber für verschiedenste inhaltliche Interessen offen gehaltenes Thema: der Vergleich von Interaktionen, die face-to-face unter Bedingungen räumlicher Kopräsenz stattfinden (klassisch: Erving Goffman) – etwa eine Party oder ein Streit zwischen zwei Liebenden – mit Interaktionen, die durch digitale Infrastrukturen vermittelt werden und damit ohne physische Kopräsenz auskommen (z.B. Karin Knorr-Cetina). Beispiele hierfür können Chatgruppen in Telegram, Onlinemeetings in Zoom oder Flirts via Tinder sein. In welchen zentralen Hinsichten unterscheiden sich die beiden Interaktionstypen und wo gleichen sie sich? Wie unterscheiden sich die Bedingungen gelingender Interaktion je nachdem, ob die Teilnehmenden physisch oder digital kopräsent sind? Wie verändern sich Interaktionen, die nicht mehr mit der Kopräsenz physisch anwesender Körper und ihrer sensuellen Erfahrungs- und Ausdrucksmöglichkeiten rechnen können? Wie machen sich die Interaktionsteilnehmenden jeweils klar, dass sie ‚bei der Sache‘ sind? Welche typischen Interaktionskatastrophen lassen sich im jeweiligen Setting beobachten und wie werden sie repariert?
Digital vermittelte Interaktionen haben jüngst in Pandemie-Zeiten Hochkonjunktur. Zugleich interagieren wir täglich im direkten Kontakt mit verschiedenen Personen in unzähligen Situationen. Diesen reichhaltigen Fundus an Erfahrungen wollen wir in der Forschungswerkstatt zum Ausgangspunkt nehmen. Von den Teilnehmenden wird erwartet, dass sie parallel zum Semester ethnografische Beobachtungen durchführen und dokumentieren (idealerweise in Teams), die im Seminar eng begleitet und reflektiert werden. Damit diese Beobachtungen gut gelingen, werden wir uns im ersten Block (zweitätig) damit befassen, was ethnografisches Forschen ist, uns grundlegende interaktionssoziologische Konzepte aneignen, Fragestellungen für die ethnografischen Beobachtungen entwickeln und uns über den Feldzugang Gedanken machen. Im zweiten Block in der Mitte des Semesters haben die Teilnehmenden die Gelegenheit, erste Zwischenergebnisse zu präsentieren und an ihnen ihre methodische Vorgehensweise zu reflektieren, das weitere Vorgehen zu fokussieren und mögliche Auswertungsstrategien zu besprechen. Im dritten Block am Ende des Semesters schließlich präsentieren und diskutieren die Teilnehmenden in Form einer schriftlichen Analyse ihre Ergebnisse und methodischen Reflexionen ihrer ethnografischen Untersuchung physisch kopräsenter und digitaler Interaktionen.

E-Learning

Kurs auf OLAT

Voraussetzungen Grundlegende Kenntnisse in qualitativen Methoden der Sozialforschung sowie soziologischen Grundbegrifflichkeiten.
Sprache Deutsch
Prüfung Für jeden Block fallen neben der Lektüre der Seminartexte andere Formen der aktiven Teilnahme an, die dem jeweiligen Stand des Forschungsprozesses entsprechen: Definition zentraler Begriffe aus der Lektüre, Anfertigung eines Beobachtungsprotokolls, kleine Analyse und Methodenreflexion.
Abschlussform / Credits Aktive Teilnahme (Details siehe 'Prüfung') / 4 Credits
Hinweise (1) Der inhaltliche Fokus auf face-to-face vs. digital vermittelten Interaktionen ist ein Vorschlag. Im Zentrum steht der ethnografische Forschungsprozess. Wie wir etwaige (verwandte) inhaltliche Interessen der Teilnehmenden integrieren könnten, werden wir in der Vorbesprechung klären.
(2) Sofern es für alle Teilnehmenden terminlich passt, würden wir die zwei Donnerstage im April auf einen Donnerstag (10 - 18 Uhr) zusammenlegen.
Hörer-/innen Nein
Kontakt sophia.cramer@uni-tuebingen.de
Material Die Teilnahme an der Vorbesprechung ist obligatorisch. Die zu lesenden Texte werden in der Vorbesprechung bekannt gegeben und über OLAT zugänglich gemacht.
Literatur zu face-to-face und digital vermittelter Interaktion
Goffman, Erving 1971: Interaktionsrituale. Über Verhalten in direkter Kommunikation. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

Goffman, Erving 1994: Die Interaktionsordnung. In: Knoblauch, Hubert (Hrsg.): Interaktion und Geschlecht. Frankfurt a.M.: Campus, S. 50-104. (Orig.: Americanl Sociological Review Vol. 48, No. 1 (1983): 1-17).

Knorr-Cetina, Karin 2009: The Synthetic Situation. Interactionism for a Global World. Symbolic Interaction 32: 61-87.

Knorr-Cetina, Karin 2012: Skopische Medien: Am Beispiel der Architektur von Finanzmärkten. In: Krotz, Friedrich/Hepp, Andreas (Hrsg.): Mediatisierte Welten: Beschreibungsansätze und Forschungsfelder. Wiesbaden: Springer VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 167-195.

zu Ethnografie
Breidenstein, Georg; Hirschauer, Stefan; Kalthoff, Herbert; Nieswand, Boris 2013: Ethnografie. Die Praxis der Feldforschung. Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft.

Greschke, Heike 2007: Bin ich drin? – Methodologische Reflektionen zur ethnografischen Forschung in einem plurilokalen, computervermittelten Feld. Forum Qualitative Sozialforschung 8(3).

Strübing, Jörg 2006: Webnografie? Zu den methodischen Voraussetzungen einer ethnografischen Erforschung des Internet. In: Rammert, Werner/Schubert, Cornelius (Hrsg.): Technographie: Zur Mikrosoziologie der Technik. Frankfurt a. M.: Campus, S. 247-274.