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Diversität durch Diagramme: Die Herstellung menschlicher Vielfalt in Naturgeschichte, Anthropologie und Ethnologie


Dozent/in Prof. Dr. Marianne Sommer
Veranstaltungsart Hauptseminar
Code FS231301
Semester Frühjahrssemester 2023
Durchführender Fachbereich Kulturwissenschaften
Studienstufe Bachelor Master
Termin/e wöchentlich (Mo), ab 27.02.2023, 14:15 - 16:00 Uhr, 3.B48 (Terminierung 1)
Umfang 2 Semesterwochenstunden
Turnus wöchentlich
Inhalt

In den interdisziplinären Geistes- und Sozialwissenschaften ist zu Beginn des Jahrhunderts eine diagrammatische Wende (diagrammatic turn) ausgerufen worden. Die Kulturwissenschaften begannen sich vermehrt dafür zu interessieren, was Diagramme sind und was sie tun. Welche Rolle spielen Diagramme in der Wissensgenerierung aber auch in der öffentlichen Wahrnehmung eines Gegenstands? Diagramme sind inhärent mit Relationen verbunden; sie repräsentieren Beziehungen und Verhältnisse. Damit scheint diese Visualisierungsform besonders geeignet, über Verwandtschaft und Diversität sowohl innerhalb der menschlichen Art wie auch im Verhältnis zum Tier nachzudenken. Tatsächlich sind Diagramme denn auch untrennbar mit der Ausdifferenzierung verschiedener Disziplinen seit dem Ende des 18. Jahrhundert verbunden. In der Anthropologie wurden Diagramme genauso benutzt, um Prototypen anthropometrischer Instrumente und die damit auszuführenden Messungen an Menschen zu erklären, wie für die Kommunikation der so gewonnen Daten. Hinter diesen Daten standen Sammlungen menschlicher Körperteile, insbesondere von Schädeln, deren Beschaffung Teil imperialer, kriegerischer und marginalisierender Praktiken war.

Ein spezifisches Diagramm war für die Klassifikation in der Naturgeschichte und schliesslich die Visualisierung der Evolution besonders zentral: Der Stammbaum. Naturhistoriker benutzten baumartige Strukturen, um die Affinitäten zwischen Organismengruppen darzustellen. Inspiriert von der Genealogie, führte Charles Darwin seine Überlegungen zur Entstehung der Arten diagrammatisch ein. In der Anthropologie experimentierte man mit dem Stammbaum der Familie des Menschen. Das Bild war ein mächtiges Werkzeug der Rassenanthropologie. Die Linguistik erstellte Stammbäume der Sprachfamilien und als die Ethnologie die Verwandtschaftsforschung zu ihrem zentralen Ansatz machte, griff auch sie zu diesem Bild, das in diversen Bereichen der Kultur, in der Genealogie, der Tier- und Pflanzenzucht oder im Kirchenrecht mitunter seit Jahrhunderten gepflegt wurde. Kulturelle Vielfalt wie Sprache und materielle Kultur generell wurde zum Gegenstand diagrammatischer Darstellung. Wie in anderen Forschungsfeldern kam dabei aber nicht nur der Stammbaum zum Einsatz, sondern auch alternative Formen und Logiken wie z.B. Wellen, Vektoren oder Netzwerke, um Prozesse von Differenzierung, Ausbreitung und Vermischung zu fassen. Dabei sollten diagrammatische Darstellungen kultureller und physischer Diversität auch zur Beschreibung und Verwaltung der Vielfalt innerhalb von Europa dienen.

Im Seminar setzen wir uns mit Theorien und Ansätzen der Diagrammatik auseinander und vertiefen diese an Beispielen aus der Geschichte und Gegenwart von Naturgeschichte, Anthropologie und Ethnologie.

Das Seminar geht aus den Themen des SNF-Sinergia-Projekts ‘In the Shadow of the Tree: The Diagrammatics of Relatedness as Scientific, Scholarly, and Popular Practice’ hervor (https://www.unilu.ch/snfsinergiatree). Es wird in Zusammenarbeit mit den Postdoc-Mitarbeitenden Lea Pfäffli und Eric Hounshell durchgeführt.

Schlagworte Gender/Diversity
E-Learning https://lms.uzh.ch/url/RepositoryEntry/17335388021
Sprache Deutsch
Abschlussform / Credits Bestätigte Teilnahme / 4 Credits
Hinweise Wissenschaftsforschung: Zählt für die Schwerpunkte Praktiken und Konzepte.
Kontakt marianne.sommer@unilu.ch