Dozent/in |
Dr. Nora Binder |
Veranstaltungsart |
Hauptseminar |
Code |
FS241517 |
Semester |
Frühjahrssemester 2024 |
Durchführender Fachbereich |
Wissenschaftsforschung |
Studienstufe |
Bachelor
Master |
Termin/e |
wöchentlich (Do), ab 29.02.2024, 12:15 - 14:00 Uhr, 3.B48 |
Umfang |
2 Semesterwochenstunden |
Turnus |
Wöchentlich |
Inhalt |
„Psychische Krankheiten sind im Trend“ – mit diesen Worten resümiert ein Radiobeitrag am Welttag für psychische Gesundheit im Oktober 2023 die aktuelle Situation. So gehört es etwa in den sozialen Medien, insbesondere auf TikTok und Instagram, gegenwärtig zu den Selbstverständlichkeiten der Selbstpräsentation, detailreich von seinen psychischen Leiden zu berichten. Parallel dazu boomen analoge und digitale Ratgeberformate und Kampagnen, die uns zur Sorge um unsere eigene mentale Gesundheit anhalten. Sie fordern Laien und Betroffene dazu auf, diese mit einer gesundheitsbewussten Lebensführung, mit mehr Achtsamkeit, Balance und gezielten Entspannungstechniken zu pflegen und aufrechtzuerhalten. Nur wer sich konsequent mit sich selbst befasst, sich selbst erfährt, ein Gefühl für sich entwickelt und an sich arbeitet, kann psychischem Leiden wie Depression oder Burn-out vorbeugen und einen Zustand von „Well-being“, Glück und „Mental Health“ unterhalten.
Während die jüngere Diskussion zu psychischer Gesundheit freilich auf ein dringliches Thema im Bereich der öffentlichen Gesundheit verweist, ist „Mental Health“ nicht einfach ein naturgegebenes Phänomen. Sie ist vielmehr auch Effekt der Denkweise einer Gesellschaft, in der die individuelle Subjektivität zum Gegenstand umfassender sozialer und politischer Aufmerksamkeit geworden ist. In einer vielbeachteten Studie hat etwa der französische Soziologe Alain Ehrenberg die Art der Subjektivität herausgearbeitet, die in unseren demokratisch-kapitalistischen Gesellschaften seit den 1960er Jahren zunehmend an der neuen Volkskrankheit Depression leidet: Es ist das „erschöpfte Selbst“, dessen Krankheit als Reaktion auf die steigenden Erwartungen und die Verschiebung hin zur individuellen Verantwortung für persönlichen (Miss-)Erfolg und (Un-)Glück gedeutet wird. Die Pointe von Ehrenberg liegt dabei nicht nur darin, auf die soziale Bedingtheit psychischen Leidens hinzuweisen, sondern auch deren historische Entwicklung in den Blick zu nehmen. So ist es seiner Auffassung zufolge gerade das Krankheitsbild der Depression, für das der gegenwärtige überforderte Typus von Subjekt anfällig ist. Denn diese bildet die exakte Kehrseite des Werts der Autonomie, der seit den 1960er Jahren auf das gesamte soziale Leben übertragen wurde und das Ideal der persönlichen Verwirklichung und der individuellen Initiative im Alltag verankert hat.
Im Seminar werden wir uns ausgehend von der vieldiskutierten Studie Ehrenbergs mit der sozialen Geschichte der mentalen Gesundheit seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert befassen. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf den für ihre Geschichte zentralen sozialen und politischen Umbrüchen der 1960er und -70er Jahre, die bis in die Gegenwart nachwirken. Um der „Mentalen Gesundheit“, ihren Krankheitsmodellen sowie Subjektivierungsweisen eine historische Tiefenschärfe zu verleihen, werfen wir aber auch einen Blick auf die Krankheitsbilder der Hysterie, Neurasthenie und Neurose zu Ende des 19. Jahrhunderts sowie auf die entstehenden Psy-Wissenschaften und ihre Psycho- und Soziotechniken ab Beginn des 20. Jahrhunderts. Letztere sind es, die die ständige Arbeit am autonomen, authentischen und aktiven Selbst, die mit den 1960er Jahren dominant wird, vorbereiten und informieren werden. Damit unsere historisch-kritische Auseinandersetzung mit der Thematik bis hin zur Reflexion unserer aktuellen Lebenswelt reicht, ist es geplant, im Rahmen des Kurses einen 1-tägigen Praxisworkshop zum Thema „Mental Health in Studium und Wissenschaft“ durchzuführen (Finanzierung ist beantragt). |
Lernziele |
Das Seminar führt in die Geschichte der „Mentalen Gesundheit“ ein und leitet die Studierenden dazu an, dieses bis heute wirkmächtige Wissens- und Interventionsfeld inklusive seiner Psycho- und Soziotechniken vor dem Hintergrund ihrer historischen, epistemischen und gesellschaftlichen Prämissen zu betrachten und kritisch zu diskutieren. |
Sprache |
Deutsch |
Anmeldung |
***Wichtig*** Um Credits zu erwerben ist die Anmeldung zur Lehrveranstaltung über das UniPortal zwingend erforderlich. Die Anmeldung ist ab zwei Wochen vor bis zwei Wochen nach Beginn des Semesters möglich. An- und Abmeldungen sind nach diesem Zeitraum nicht mehr möglich. Die genauen Anmeldedaten finden Sie hier: http://www.unilu.ch/ksf/semesterdaten |
Abschlussform / Credits |
Aktive Teilnahme (Referat, Essay) / 4 Credits
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Hinweise |
Literatur und Quellen teilweise auf Englisch
Regelmäßige Teilnahme & Mitarbeit, Impulsreferat & Essay. Bei besonderen Bedarfen Ihrerseits wenden Sie sich gerne vorab an mich unter nora.binder@uni-konstanz.de.
Gilt für den Bereich Objekte. |
Hörer-/innen |
Nach Vereinbarung |
Kontakt |
nora.binder@doz.unilu.ch |
Literatur |
vorbereitende Lektüre (falls erwünscht):
Alain Ehrenberg. Das erschöpfte Selbst. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2008.
Nikolas Rose. Inventing Ourselves. Psychology, Power, and Personhood. Cambridge: Cambridge University Press, 1996.
Ian Hacking. „Making Up People.“ In The Science Studies Reader, edited by Mario Biagioli, 161–171. New York: Routledge, 1999 (1986).
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