Wie werden
Lebenswelten von Menschen durch lokale, nationale und globale Beziehungen,
Diskurse und Praktiken geformt? Weltweite, häufig
asymmetrische Beziehungen – vielfach unter dem Begriff der „Globalisierung“
zusammengefasst – sind seit mehr als zwanzig Jahren in den Mittelpunkt
sozialwissenschaftlicher Interessen gerückt. Gleichzeitige Abgrenzungstendenzen
lokaler Gemeinschaften haben zur Wortschöpfung der „Glokalisierung“ geführt. Ein
Fazit der Diskussion ist, dass Lebensweisen nicht mehr in Isolation untersucht
werden können, egal ob sie stark in globale Netzwerke eingebunden sind oder versuchen,
sich von diesen abzugrenzen.
Diese Spannung zwischen transnationalen
Verflechtungen und lokalen Abgrenzungen spielen in allen Teilbereichen der
Ethnologie eine Rolle: Sei es die Nutzung von Rohstoffen oder die Richtung globaler
Warenströme, die die Wirtschaftsethnologie interessieren, die Ausbreitung und der
Wandel von Religionen oder verwandtschaftliche Beziehungen, die aufgrund von
Migration, Mobilität und neuen Technologien mehrere Kontinente umspannen können.
Die Politikethnologie untersucht postkoloniale Staaten und global vernetzte
Politik zu Themen wie Umwelt, Menschenrechte und „Entwicklung“. Medizinethnolog:innen
beobachten weltweit verbreitete, eventuell neu interpretierte, Vorstellungen
und Praktiken bezüglich Heilung und Gesundheit.
Die historische Darstellung lokaler
Gemeinschaften hat sich gewandelt und zeigt, dass globale Zusammenhänge schon
lange vor der Rede von „der Globalisierung“ von Bedeutung waren. Eine anti-essentialistische und
de-zentrierte Sicht auf die Welt(-Geschichte) ist heute grundlegend für postkoloniale
Forschung und Theoriebildung und die Darstellung der „Völker ohne Geschichte“
(Wolf 1982), aber auch hinsichtlich der europäischen Wissenschaftsgeschichte,
die eng mit der Welt außerhalb Europas verwoben war und ist. Diese neuen Perspektiven wirken sich auch auf die empirischen Methoden
der Ethnologie und Sozialwissenschaften aus. Veränderungen der ethnographischen
Forschung werden neben Ergebnissen neuester Studien zu den verschiedenen
Teilbereichen der Ethnologie, zur Wissensgeschichte und zu neueren
theoretischen Ansätzen in der Vorlesung dargestellt.
Für die Vorlesung gibt es nach erfolgreich
bestandener Klausur 3 CP. Bei Interesse können Studierende eine begleitende
Lektüregruppe gründen, für die sie 2 social credits erhalten. Die Vorlesung
kann als Pflichtvorlesung „Einführung in Bereiche der Ethnologie“
(Politik-/Wirtschaftsethnologie) angerechnet werden. Sie wird besonders auch
für Studierende der integrierten Studiengänge „Global Studies“ sowie „Kulturwissenschaften“
empfohlen.
Themen
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Frühe Kontakte und Berichte:
Kannibalen, Ungläubige und „edle Wilde“
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Europa und die „Völker ohne
Geschichte“
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Die Ausbreitung und Transformation
christlicher Religion
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Bergbau und andere
kapitalintensive Großprojekte
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Familification: die Globalisierung der
Kleinfamilie
·
Migration, Mobiltelefone und
Social Media
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Erfindung und Schutz des
Weltkulturerbes
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Gender, globale Care-Chains, Transnationale Heiraten und
Prostitution
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Bio-Kapital und globalisierte
Reproduktionstechnologien
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Methodologische Überlegungen:
Digitale oder multi-sited ethnography
und stationäre Feldforschung |