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Diese Veranstaltung versteht sich als (vorläufiger) Abschluss einer Trilogie von Seminaren, die sich mit der Frage nach den Veränderungen des gesellschaftlichen Verständnisses von Intimität im Zuge der medialen Revolution des Computers eingestellt haben könnten. Das erste Seminar (2012) konzentrierte sich auf die Semantik von Freundschaft (‘Freundschaft, Verwandtschaft, Gesellschaft: Vom Pen Pal zum Facebook-Pal’), das zweite (2018) auf die Semantik der Liebe (Bewusstlose Liebe. Liebe, Massenmedien und der Turing-Test). Das vorliegende, dritte Seminar soll die ausgelegten Fäden zusammenziehen und sich mit ‘artifizieller Intimität’ beschäftigen – einer Intimkommunikation also, die sich als Kommunikationspartner/in eine KI wählt.
Was lange nach Science Fiction klang, ist schon länger keine Science Fiction mehr. Sofern der Fehler vermieden wird, die Gesellschaft und ihre KI anthropomorph zu denken – also als Replikate oder Ausdehnungen eines im eigenen Bewusstsein zentrierten Mensch-Seins. Large Language Models à la ChatGPT oder Gemini simulieren nicht Bewusstsein – sie simulieren Kommunikation. Und sind damit als empirischer Härtetest gesellschaftstheoretischer Grundannahmen gemeint, die im Rahmen des amerikanischen Pragmatismus (insbesondere: George Herbert Mead) vor über hundert Jahren bereits vorbereitet worden sind (und auf die etwa Alan Turing zurückgreift, wenn er bereits Mitte des 20. Jahrhunderts die Grundideen entwirft, die inzwischen in der Form der Large Language Models der KI konkretisiert worden sind): dass nämlich Gesellschaftlichkeit in Kommunikation gründe, nicht in Bewusstsein – und KI genau dies, und nur dies, simulieren könne.
Freundschaft und Liebe mögen ihre bewusste Innenseite haben – sozial gesehen sind sie jedoch Semantiken, also historisch wandelbares Wissen darüber, wie Emotionen à la Freundschaft oder Liebe kommunikativ zu behandeln sind. Sie werden erlernt, vor allem aus den Massenmedien, und wandeln sich, vor allem im Zuge medialer Umbauten (oder gar Revolutionen) der Gesellschaft – wie etwa der Computerrevolution. Wenn dem so ist: kann auch eine KI diese Semantiken erlernen – und praktizieren? Plattformen, die dies zu tun versprechen, sind bereits auf dem Markt (etwa Replika).
Offensichtlich bewegt sich das Seminar mit solchen Fragen an der Front der laufenden Forschung – auf offenem und vielfach noch unsicherem Terrain. Trotzdem lassen sich drei konkrete Ziele abstecken, die das Seminar anleiten sollen: Zunächst gilt es, zu verstehen, wie Large Language Models funktionieren, und wie voraussetzungsvoll die gesellschaftstheoretischen Implikationen ihrer Funktionsweise ausgelegt sind. Sodann gilt es, ein Verständnis von Intimität als historisch wandelbarer Semantik zu entwickeln – und ihren Wandel in Beziehung zu sehen mit medialen Umbrüchen der Gesellschaft (die Leitthese der ‘Medium Theory’). Und schliesslich soll es darum gehen, zu verstehen, ob und warum so etwas wie artifizielle Intimität, also bewusstlose Intimkommunikation mit einem artifiziellen Kommunikationspartner möglich sein kann – wie es etwa Replika anbietet und Spike Jonze in seinem filmischen Meisterwerk ‘Her’ schon länger vorausgeahnt hat. |