Dozent/in |
Prof. Dr. iur. Bernd Hecker, Universität Gießen |
Veranstaltungsart |
Gastlehrveranstaltung |
Code |
HS091365 |
Semester |
Herbstsemester 2009 |
Durchführender Fachbereich |
Überblick Recht bis HS 2013 |
Studienstufe |
Bachelor
Master |
Termin/e |
Fr, 09.10.2009, 09:00 - 12:00 Uhr | 13:00 - 17:00 Uhr, Pfistergasse HS 1 Sa, 10.10.2009, 09:00 - 12:00 Uhr | 13:00 - 16:00 Uhr, Pfistergasse HS 1 |
Umfang |
1 Semesterwochenstunde |
Inhalt |
Die Strafrechtsentwicklung in Europa wird von zahlreichen und vielschich-tigen Europäisierungsfaktoren allgemeiner und bereichsspezifischer Natur geprägt. Ein echter europäischer Rechtsraum, in dem die nationalen Strafrechtssysteme vereinheitlicht sind bzw. eine supranationale Strafgewalt mit eigenen Justizorganen aufgrund eines genuin europäischen Straf- und Strafverfahrensrechts tätig ist, existiert derzeit zwar (noch) nicht. Dennoch hat sich in der Strafrechtswissenschaft die Rede vom „Europäischen Strafrecht“ als allgemein anerkannter Sammelbegriff für einen eigenständigen strafrechtlichen Forschungsgegenstand durchgesetzt. Es handelt sich dabei um eine Rechtsmaterie eigener Art, die sowohl strafrechtsrelevantes Gemein-schafts-, Unions- und Völkerrecht als auch gemeinschafts-, unions- und völkerrechtlich beeinflusstes nationales Strafrecht umfasst. Im Blickfeld des Europäischen Strafrechts stehen somit zum einen alle das Straf- und Strafverfahrensrecht der europäischen Staaten unmittelbar oder mittelbar beeinflussenden Normen der Gemeinschaftsverträge (EGV, EAGV), des Vertrages über die Europäische Union (EUV) und des Völkerrechts (EMRK) sowie das abgeleitete Recht (z. B. Richtlinien, Verordnungen, Rahmenbeschlüsse, Übereinkommen) der supranationalen und internationalen Organisationen Europas (namentlich EG, EAG, Europarat, OECD). Zum anderen umfasst das Europäische Strafrecht die durch Primär- und Sekundärrecht in vielfältiger Weise überlagerten Strafrechtsregelungen des innerstaatlichen Rechts, also das europäisierte nationale Strafrecht („nationales Europäisches Strafrecht“). Schweizerische JuS-Studierende mag die Vorlesung dazu anregen, über die Frage zu reflektieren, welche Auswirkungen ein EU-Beitritt der Schweiz auf das Schweizerische Strafrecht hätte (vgl. hierzu Satzger, SchwZStR 119 (2001), S. 94 ff.). Darüber hinaus behandelt die Vorlesung einige Themen-bereiche, die für den Nicht-EU-Staat Schweiz von unmittelbarer rechtlicher Relevanz sind, namentlich die Einflüsse der EMRK auf das nationale Strafverfahrensrecht sowie bilaterale Kooperationsformen im Bereich der internationalen Rechtshilfe und der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit wie z. B. der am 1. März 2002 in Kraft getretene deutsch-schweizerische Polizeivertrag. Seit 12.12.2008 ist die Schweiz assoziiertes Mitglied der polizeilichen und justiziellen Schengenkooperation mit den EU-Mitgliedstaaten und somit noch stärker als je zuvor in die grenzüberschreitende europäische Strafrechtspflege eingebunden. Die Grenzkontrollen an den Landesgrenzen sind entfallen. Bereits seit August 2008 arbeiten die Fahndungscomputer des Schengen-Informationssystems (SIS) und des nationalen Fahndungssystems Ripol zusammen. Im Übrigen dürfte die Strafrechtsentwicklung innerhalb der EU bei Schweizerischen Strafjuristen schon deshalb auf praktisches Interesse stoßen, weil sich aufgrund der zentralen geografischen Lage der von „EU-Ausland“ umgebenen Schweiz („Transitland“) vielfältige transnationale Fallkonstellationen ergeben. Für deren rechtliche Bewältigung erscheint es ungemein hilfreich, die jeweiligen EU-Bezüge zu kennen. |
Lernziele |
Die Vorlesung setzt sich zum Ziel, den Studierenden die Grundstrukturen und Grundbegriffe des Europäischen Strafrechts zu vermitteln. Im Mittelpunkt der Vorlesung stehen zum einen die Träger des Europäischen Strafrechts, die als institutionelle Akteure die rechtstatsächlichen Impulse für die Europäisierung der Strafrechtssysteme setzen und - in den ihnen jeweils eigenen Handlungsformen - entsprechende Maßnahmen treffen, z. B. durch Abschluss von Konventionen, Erlass von Rahmenbeschlüssen oder Richt-linien, legislative oder judikative Umsetzung europäischer Regelungs-vorgaben in nationales Strafrecht etc. Sodann werden die zentralen Euro-päisierungsfaktoren - wie z. B. das Assimilierungsprinzip, der Anwendungs-vorrang des Gemeinschaftsrechts, die gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung sowie die Harmonisierung des Strafrechts in der "ersten" und "dritten" Säule der EU - im Detail beleuchtet. Dabei werden stets die jeweiligen Bezüge zur schweizerischen Strafrechtspflege und zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zwischen EU-Staaten und der Schweiz aufgezeigt. Nicht zuletzt soll dargelegt werden, wie sich der Vertrag von Lissabon auf das Europäische Strafrecht auswirken würde, falls er wie geplant Ende 2009 in Kraft tritt. |
Voraussetzungen |
Elementarkenntnisse in den Bereichen Europarecht und Strafrecht (strafrechtliche Grundprinzipien und Methodenlehre) |
Sprache |
Deutsch |
Begrenzung |
75 |
Leistungsnachweis |
Mittwoch, 08.11.06 (16.00-17.00), Union U 1.03 |
Hinweise |
Vorlesungsplan (9./10.10. 2009)
A. Grundbegriffe und Grundfragen des Europäischen Strafrechts
I. Was ist "Europäisches Strafrecht"?
II. Europäisches Strafrecht als rechtswissenschaftliche Querschnittsdisziplin
III. Grenzüberschreitende Bezüge des Strafrechts
1. Internationales Strafrecht
2. Transnationales Strafrecht
3. Völkerstrafrecht
B. Die Träger des Europäischen Strafrechts und ihre Handlungsformen
I. Europarat
1. Strafrechtsrelevante Aktivitäten des Europarates
2. EMRK und Strafrecht
II. Europäische Gemeinschaft (EG), Europäische Union (EU), künftige Union
III. EU-Mitgliedstaaten und Schweiz im Netzwerk polizei-
licher und strafjustizieller Zusammenarbeit
1. Schengen-Kooperation
2. Intergouvernementale Zusammenarbeit der EU-Mitgliedstaaten
3. Bilaterale Kooperation zwischen der Schweiz und Deutschland
C. Die strafrechtsrelevanten Europäisierungsfaktoren
I. Assimilierungsprinzip
II. Vorrang des unmittelbar geltenden Gemeinschaftsrechts
III. Gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung
IV. Strafrechtliche Anweisungskompetenz der EG
V. Harmonisierung des Strafrechts in der "ersten" und "dritten Säule" der EU
VI. Auswirkungen des Vertrags von Lissabon
D. Die transnationale Dimension des Grundsatzes "Ne bis in idem" |
Hörer-/innen |
Ja |
Kontakt |
bernd.Hecker@recht.uni-giessen.de |
Material |
Texte des EGV und EUV (Beck-Texte Europarecht im dtv, 23. Aufl., 2008; weitere Materialien werden vom Dozenten zur Verfügung gestellt. |
Literatur |
1. Was ist unentbehrlich? Zur Vor- und Nachbereitung verweise ich auf mein Lehrbuch, an dem sich die Vorlesung orientiert: Bernd Hecker, Europäisches Strafrecht, Springer Verlag, Heidelberg, 2. Aufl., 2007. 2. Weitere Hinweise Sonstige Lehrbücher
• Kai Ambos, Internationales Strafrecht, Verlag C. H. Beck, München, 2. Aufl., 2008;
• Helmut Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, Nomos Verlag, Baden-Baden, 3. Aufl., 2009. Aufsätze
• Gerhard Dannecker, Das materielle Strafrecht im Spannungsfeld des Rechts der Europäischen Union, JURA 2006, Teil I S. 95 ff.; Teil II S. 173 ff.;
• Bernd Hecker, Sind die nationalen Grenzen des Strafrechts überwindbar? – Die Harmonisierung des materiellen Strafrechts in der Europäischen Union, JA 2007, 561 ff.;
• Ders., Der Vertrag von Lissabon und das Europäische Strafrecht, iurratio 2009, S. 81 ff. (im Internet abrufbar unter http://www.iurratio.de/);
• Helmut Satzger, Welche Veränderungen brächte ein Beitritt der Schweiz zur Europäischen Union für die Anwendung des schweizerischen Strafrechts?, SchwZStrR 119 (2001), S. 94 ff. |