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Dieses Masterseminar bietet eine kritische Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Cargo Cults – von ihren historischen Wurzeln in millenaristischen Bewegungen des Pazifikraums bis hin zu ihrer aktuellen symbolischen Bedeutung in der globalisierten Wirtschaft. Ausgangspunkt der Diskussion bilden die ursprünglichen Cargo Cults, die in Melanesien während der Kolonialzeit und in der unmittelbaren Nachkriegszeit entstanden sind. Diese beruhten auf der Vorstellung, dass westliche Güter und Technologien – als «Cargo» bezeichnet – das Ergebnis spiritueller oder übernatürlicher Kräfte seien, die von den kolonialen Machthabern kontrolliert würden. In diesen Kulten wurde häufig geglaubt, dass das Nachahmen westlicher Rituale und Praktiken, wie etwa der Bau von Landebahnen oder die Durchführung von Militärparaden, einen unabhängigen Zugang zu diesen begehrten Gütern eröffnen könnte.
In einem ersten Teil des Seminars werden zentrale Fragen zu diesen Cargo Cults behandelt, etwa die Rolle charismatischer Führer, die Funktion ritueller Praktiken und die doppelte symbolische Bedeutung von «Cargo» als materielle Ware sowie als Versprechen von Erlösung und politischer Autonomie. Zugleich eröffnet das Seminar einen theoretischen Diskurs über die Rezeption und Kritik des Begriffs, der in den ethnologischen Debatten immer wieder als Beispiel für ethnozentrischen Paternalismus und koloniale Zuschreibungen herangezogen wird. Zugleich hat der Begriff auch in der allgemeinen Öffentlichkeit und im politischen Diskurs eine Karriere gemacht, indem er diejenigen als irrational diskreditiert, als verführt von Heilsversprechungen, die vermeintlich ausschliesslich auf externe Impulse hoffen, als eigene Lösungsansätze zu entwickeln.
Im zweiten Teil des Seminars wird das Konzept des Cargo Cults als Metapher für moderne Formen der Mimikry und Fetischisierung aufgegriffen – sei es in der unreflektierten Anbetung von Marken, den inszenierten Ritualen an den Finanzmärkten oder den symbolischen Abstraktionen in politischen und ökonomischen Diskursen. Dabei geht es um die provokante Umkehrung der klassischen ethnologischen Perspektive: Was passiert, wenn nicht mehr die «Anderen», sondern wir selbst als die Gläubigen erscheinen – verstrickt in ein System, das ebenso von Mythen, Zeichen und Ritualen geprägt ist wie die von Ethnolog*innen beschriebenen Cargo Cults? Es soll die Frage gestellt werden, wie ökonomische Wirklichkeit kulturell konstruiert und performativ inszeniert wird – und welche Rolle Glaube, Illusion und Imagination dabei spielen. Sei dies in der Fetischisierung von Statussymbolen, im bewussten Ignorieren von Produktionsbedingungen und Lieferketten, oder im Vertrauen in eine Expertenkaste, die im Namen abstrakter Kräfte wie «Markt» oder «Wachstum» handelt und predigt.
Anhand theoretischer Texte und empirischer Fallstudien, unter anderem inspiriert durch die Ausstellung Cargo Cults Unlimited im Musée d’Ethnographie Neuchâtel, in der wirtschaftliche Realitäten und kulturelle Vorstellungen in einer symbolträchtigen Inszenierung miteinander verwoben werden, sollen die Studierenden lernen, die Ambivalenz zwischen Glauben und wirtschaftlichen Machtstrukturen kritisch zu reflektieren. Ein gemeinsamer Museumsbesuch als Teil des Masterseminars ermöglicht es, die in der Ausstellung dargestellten Verbindungen zwischen millenaristischen Bewegungen und modernen Finanzmärkten direkt zu erleben und diskursiv zu verarbeiten.
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